Leben mit der Kirche

Zur Freiheit befreit

Eine erste einschneidende Grenzerfahrung erlebte ich mit fünf Jahren…ggggg

Mauerblume-kl

Zur Freiheit befreit

Eine erste einschneidende Grenzerfahrung erlebte ich mit fünf Jahren. Als Urlauberfamilien standen wir auf dem Priwall, der Halbinsel am südlichen Ende der Lübecker Bucht. Am Strand eine rot-weiße Absperrung, ein Schild und ein Überwachungsturm der Grenztruppen der DDR. Das Mädchen aus der anderen Familie scherte sich nicht um die Absperrung. Und mir wurde Angst und bange. Was würde passieren? Würden die Grenzer sie gleich mitnehmen und uns mit? Meine geordnete, kleine Welt geriet in diesem Moment aus den Fugen.

Als Kind der alten Bundesrepublik lebte ich in einem wohl geordneten und übersichtlichen Staat. Aber man stieß schnell an Grenzen, nicht nur im Osten. Mit den gesellschaftlichen Grenzen in der Mitte der 1960er Jahre hatte das nichts zu tun, davon wusste ich noch nichts. Aber ob wir nach Holland oder Österreich fuhren, überall verspoerrten Schlagbäume den Weg. Jeder Grenzübertritt bei Urlaubsreisen war für mich in Kindertagen ein kleines Abenteuer und mit einer gewissen Angst besetzt. Wie würden die Grenzkontrolleure reagieren? Würden sie uns auf der Rückreise wieder aus ihrem Land herauslassen?

Kein Wunder also, dass ich ein großer Freund offener Grenzen geworden bin und die Abschaffung der Grenzkontrollen nach dem Schengen-Abkommen sehr begrüße. Kein Wunder, dass ich mich um diese Freiheit sorge, seit sich die Staaten Europas mit Zäunen und Grenzkontrollen wieder voneinander und von Menschen, die zu ihnen kommen, abschotten. Für neue Probleme mit flüchtenden Menschen gibt es offenbar nur die alten Antworten. Dabei sind gerade wir stolz auf unsere Freiheit und dafür weltweit anerkannt. Mit keinem Reisepass der Welt kann man problemlos mehr Länder bereisen als mit dem unseren. Wundert Sie, dass sich Menschen anderswo nach solcher Freiheit sehnen?

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! (Paulus: Galterbrief, 5. Kapitel, 1. Vers) – Für Paulus ist die Sache klar: den wichtigsten Schritt in die Freiheit geht Jesus Christus mit den Menschen. Er nimmt einzelne wahr und ernst, gewichtet nicht nach Geschlecht, Alter und übrigens auch nicht nach der Religion. Jesus gibt den Menschen ihre Würde zurück und entreißt den Einzelnen der großen Masse. Damit überschreitet er viele Grenziehungen seiner Zeit und eckt an. Er stört die Ordnung des Zusammenlebens so sehr, dass er dafür schließlich mit dem Leben zahlen muss. Daran erinnern wir uns wieder in diesen Wochen der Passionszeit.

Den Weg in die Freiheit konnte das nicht aufhalten. Auch Christen, die die Freiheit eines Christenmenschen lange mit neuen Grenzziehungen beschränkten, konnten das nicht. Seit Jesus zählt es zu den Gegebenheiten des christlichen Glaubens, Grenzen zu überschreiten. Denn es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, unfreie Diener oder freie Menschen, Männer oder Frauen. Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus seid ihr alle wie ein Mensch geworden. (Paulus: Galterbrief, 3. Kapitel, 28. Vers) Grenzen aus Zäunen, Grenzen im Kopf mögen für eine Zeit hinderlich sein, die von Jesus Christus geschenkte Freiheit können sie nicht aufhalten.

Uwe Brühl
in der Reihe „Was zu sagen ist“ im Süderländer Tageblatt, März 2016