KATEGORIE

Gründonnerstag & Karfreitag – Menschen

01.04.2021
Mit dem Gründonnerstag treten wir ein in den Kernbereich der drei Tage des eigent-lichen Ostergeschehens. Am Karfreitag kulminiert dann das Kerngeschehen des christlichen Glaubens. Wir erleben den größten Moment der Gottesferne, aber auch Gottes Versöhnung mit uns Menschen. In all diesem Geschehen am Gründonnerstag und am Karfreitag begegnen uns Menschen in ihrer Menschlichkeit…

Hier anschauen …ggggg

aus: Gemeindebrief 02-2021

Menschen am Weg zum Kreuz

Gedanken zu Gründonnerstag und Karfreitag
von Dirk Gogarn

Mit dem Gründonnerstag treten wir ein in den Kernbereich der drei Tage des eigentlichen Ostergeschehens. Am Karfreitag kulminiert dann das Kerngeschehen des christlichen Glaubens. Wir erleben den größten Moment der Gottesferne, aber auch Gottes Versöhnung mit uns Menschen. In all diesem Geschehen am Gründonnerstag und am Karfreitag begegnen uns Menschen in ihrer Menschlichkeit: Menschen, denen das eigene Hemd näher ist als das Leben und Wohl ihrer Mitmenschen. Enttäuschte Menschen. Menschen, deren Hoffnung schnell schwindet. Ein skrupelloser Mensch, der das Leben eines engen Freundes für Geld verrät. Menschen, denen die Augen verschlossen bleiben. Aber auch Menschen, deren Augen aufgehen. Menschen, die in ihrer Freundschaft treu bleiben und durchhalten. Frauen und der Jünger Johannes, die ihr eigenes Leben riskieren, um Jesus in der Todesstunde nahe zu sein. Wir erleben es, wie sich christliche Gemeinde aus diesem kleinen Kreis heraus konstituiert. Aber wir erleben auch einen römischen Statthalter, der nichts riskiert, um einen Unschuldigen vor der Hinrichtung zu retten. Römische Soldaten verspotten ihn und würfeln um seine Kleidung. Und ein anderer römischer Soldat bekennt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen (Matthäus 27,54). Am Gründonnerstag und Karfreitag erleben wir Menschlichkeit in all ihren Facetten: Wir erleben Niedertracht und Verrat. Wir erleben Treue und großen Mut. Wir erleben Verleumder und Bekenner.

Ich mag auf einige Gedanken der vorgeschlagenen Predigttexte für den diesjährigen Gründonnerstag und Karfreitag näher eingehen wollen. Am Gründonnerstag feiert Jesus mit seinen zwölf Jüngern ein Abschiedsmahl. Es ist schon eine recht feierliche Abendstunde, die da beim Evangelisten Matthäus geschildert wird. Ich erinnere mich an die Ambivalenz meiner Gefühle als ich diesen Abendmahlssaal in Jerusalem besuchte. Einerseits liegt dieser Saal in Jerusalem am Rande vor der Stadtmauer, andererseits aber auch im Zentrum der Geschichte Israels. Das Grab von König David ist nicht weit von diesem Saal entfernt. Jesus greift das Passamahl seines Volkes Israel auf. Beim Passafest feiert Israel seine Freiheit und seine Zusammengehörigkeit. Beides sind Grundwerte, die sich für ein Gemeinwesen auch heute gut gebrauchen lassen.

In der Mahlgemeinschaft kommen soziale und kommunikative Aspekte zum Tragen. Aus diesem Grunde nehme ich gerne auch an Beerdigungskaffeetrinken teil. Ich kann Menschen nahe sein in einer besonderen Situation, aber auch beim Übergang in ihren Alltag. Inmitten seiner Jünger segnet Jesus Brot und Kelch. Er stiftet ein Erinnerungsmahl, wo er vergegenwärtigt werden kann, wenn er nicht mehr leibhaft präsent sein wird. Sein Geist ist in unserer Mitte, wenn wir die Worte sprechen: „Er nahm das Brot“ und „Er nahm den Kelch“ (Matthäus26, 26f.). Jesus weiß um den Verräter, der unter den Jüngern ist. Und die Jünger wirken eher naiv, wenn sie fragen: „Bin ich`s Rabbi?“. Judas, den er ertappt und überführt, schließt er aus der Gemeinschaft nicht aus (Matthäus 26,25). Jesus weiß wohl darum, dass das Leben immer ambivalent ist, dass Bekennermut und Versagen oder gar Verrat nahe beieinander liegen. Der Verrat führt zum Karfreitag. Aber es geht nicht nur um den Verrat des Einen. Es geht um den Menschen, der ist, wie er ist. Der Mensch, der fähig zum Guten ist, der aber auch Abgründe in seinen Charaktereigenschaften aufweist.

In alter Zeit redet der Prophet Jesaja bereits vom leidenden Gottesknecht (Jesaja 52,13-15.53, 1-12). Ein gerechter Mensch muss ungemein viel erleiden. Die Frage nach dem Sinn des Leidens lässt sich nicht wirklich beantworten. Wo es um das Leiden müssen des Menschen geht, da gelangt die Vernunft mit ihrer Erkenntnis an ihre Grenzen. Da sehen wir vielleicht im Kreuz Christi wie in einem Spiegel das Leid aller Menschen. Wir nehmen Menschen wahr, die ergötzt hinschauen, andere die wegschauen und wieder andere, die geradezu mitleiden. In diesem ernsten Karfreitagsgeschehen kommt die gesamte Facette menschlicher Verhaltens-möglichkeiten zum Tragen. Für Christen hat der Karfreitag einen hohen Stellenwert. Bis heute ist er ein öffentlich geschützter „stiller Feiertag“, an dem bestimmte Märkte, Musik und Tanzveranstaltungen nicht stattfinden dürfen. Er mutet auch Nicht-Christen zu, für einen Tag innezuhalten, sich der Verwundbarkeit des eigenen Lebens bewusst zu werden und des Leidens von Menschen in unserer Zeit zu gedenken.

In diesem Jahr werden wir in unserem Lande am 18.April der Toten der Corona-Pandemie gedenken. In Spanien erlebten wir im vergangenen Jahr ein stilles Gedenken, wo der König und die Kronprinzessin Kerzen angezündet haben. Ganz ohne Worte. Mich hat das tief berührt. Vielleicht ziehen wir ja auch die Lehre aus der Pandemie-Zeit, jenseits aller Geschäftigkeit, jenseits allen Jubels und Trubels, wieder neu mit Stille umgehen zu können. Ich würde hierin einen Erkenntnisgewinn erblicken wollen, der uns je persönlich aber auch unserer Gesellschaft gut tut. Ein Reflexionsprozess käme in Gang, der uns neu sensibilisiert für die leidende Kreatur bei uns und auf der Welt.

Seit dem Karfreitag 2020 geht der Name des jungen isländischen Tenors Benedikt Kristjánsson um die Welt, als der eines der besten Bach-Sänger der Gegenwart. Gestreamt wurde aus der Leipziger Thomaskirche die Johannespassion, in der er als einziger Gesangssolist alle Rollen allein sang. Dieser Tenor wurde gefragt, ob die Zeit seither ein verlorenes Jahr für ihn war. Er hat entschieden verneint. Er komme mit wenig aus, habe aber auch weniger ausgegeben. Er habe Zeit für Familie und Kinder gehabt. Und er durfte in Island in einer Kirche gleich zweimal die Johannespassion aufführen. Sicherlich redet er aus einer privilegierten Position heraus. Wenn jemand um seine physische oder wirtschaftliche Existenz bangen muss, dann stellt sich das Geschehen dieser Monate in einem ganz anderen Licht dar. –  Aber gerade das nimmt der christliche Glaube mit seinem Passionsgeschehen auf.  Der Schmerzensmann am Kreuz hält das mit uns aus – ohne viele Worte. Jesaja beschreibt dies so: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit“ (53,3). Nach schwerem Leid sieht Jesaja aber auch, wie am Ende Gottes Plan gut ausgeht. „Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben (53,12). Hinabsteigend in die tiefsten Tiefen dieser Welt mag ich am Gründonnerstag und Karfreitag schon österliches Licht schauen wollen. Das Leid abwendende Handeln Gottes erwarte ich mit Sehnsucht. Amen.

Ich lade ein zum Gebet:
Gott,
Karfreitag stellt menschliches Leid in seinen tiefsten Dimensionen dar.
Erklären können wir es nicht, warum Menschen so handeln oder wegschauen.
Dass du aber da bist auch in der Tiefe alles Leides, das mag ein Trost sein.
Deine Nähe hält alles mit uns aus.
Wende du dich zu uns und schenke uns bald schon österliche Freude.
Amen.

Ein Lied unserer Zeit (EG E 4):

  1. In einer fernen Welt gehst du nach Golgatha, erduldest Einsamkeit, sagst selbst zum Sterben ja. Amen, Amen, Amen.
  2. Du weißt, was Leiden ist. Du weißt, was Schmerzen sind, der du mein Bruder bist, ein Mensch und Gottes Kind.
  3. Verlassen ganz und gar von Mensch und von Gott, bringst du dein Leben dar und stirbst den Kreuzestod.
  4. Stirbst draußen vor dem Tor, stirbst mitten in der Welt. Im Leiden lebst du vor, was wirklich trägt und hält.
  5. Erstehe neu in mir. Erstehe jeden Tag. Erhalte mich bei dir, was immer kommen mag. Amen, Amen, Amen.
    Text: Otmar Schulz 2010   Melodie: Andreas Brunion 2010